A6 Gesundheit als Pflicht? Zwischen Fitness und Healthismus
- Artikel-Nr.: HV10565
- Freitextfeld 1: 10 Seiten
Ansgar Thiel, Jannika John, Hannes Gropper & Jochen Mayer
Das Recht auf Gesundheit wird in vielen Teilen der Welt bis heute nicht umgesetzt. In Industriestaaten, die über eine gute Gesundheitsversorgung der Allgemeinbevölkerung verfügen, wird die Förderung von Gesundheit meist weniger als Recht auf eine ärztliche Grundversorgung, sondern vielmehr im Sinne von Fitness, Wellness und Wohlbefinden diskutiert. Dabei ist auffällig, dass Gesundheitsförderung im Gegensatz zur menschenrechtlichen Festlegung (siehe Kapitel A5) weniger als Verpflichtung des Staates, sondern vor allem als individuelle Selbstverantwortung diskutiert wird.
Im Folgenden wird genauer auf die Idee der Verbesserung von Gesundheit als einer Optimierung des eigenen Fitness- und Wohlbefindenszustandes eingegangen. Dabei geht es insbesondere um die Entstehung einer Fitness- und Wellnessbewegung, deren Zweck letztendlich auf eine Selbstoptimierung abzielt und dementsprechend mit der Grundidee von Gesundheit als einem Menschenrecht nur noch marginal übereinstimmt. Dieser Widerspruch wird abschließend am Beispiel des sogenannten „Healthismus“ veranschaulicht. Healthismus, wie wir ihn in unserem Artikel verstehen, lässt sich als eine kollektive gesundheitsideologische Leitidee verstehen, die eine Zuschreibung von Verantwortung für die Gesunderhaltung weg vom Staat hin zum Individuum beinhaltet, was wiederum einen Verhaltenszwang auf der individuellen Ebene impliziert. Gesundheit ist in dieser Perspektive eine soziale Norm, mehr noch, ein Verhaltensimperativ. Die Verantwortungszuschreibung zum Individuum hat in diesem Zusammenhang zur Folge, dass ein Verhalten, das nicht als gesundheitsförderlich angesehen wird, als Devianzverhalten gilt.
Die in der Leitidee des Healthismus verankerten Körper- und Verhaltensvorgaben sind hochnormativ und reklamieren einen fast schon universalen Geltungsanspruch, dessen wissenschaftliche Grundlegung allerdings weit weniger evident ist als behauptet.